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Bericht: Rike Oehlerking
Mitten im Blockland liegt seit über 40 Jahren die Pusta-Stube. Sie ist eine Art Paralleluniversum für Kneipenliebhaber, Anwohner und Berühmtheiten, die mal wieder wie ganz normale Menschen behandelt werden möchten.Der Ort strotzt nur so vor Geschichten. Ein paar davon habe ich bei einem Besuch erfahren.
Ich sitze mit Inhaberin Kornelia Staffeldt an einem Fenstertisch mit Blick auf die Wümme und trinke Kaffee. Es regnet, aber ich muss zugeben, dass die Landschaft draußen selbst bei diesem vorfrühlingshaften Grauwetter durchaus ihren Reiz hat. Die Pusta-Stube die uns umgibt, existiert an dieser Stelle schon seit über 40 Jahren. Vorher war hier eine kleine Bootswerft, erzählt mir Kornelia Staffeldt.
Geschichten, die nicht jede/r erlebt.
Schon nach wenigen Sätzen unseres Gespräches wird mir bewusst, dass es an diesem Nachmittag nicht bloß um die Geschichte dieses Ortes gehen wird. Nein, die Menschen, die diesen Ort geschaffen haben und ihn bis heute prägen, stehen im Zentrum. Und das sind Kornelia und ihre Eltern, die Anfang der 1970er Jahre nach Bremen kamen und sich ins Blockland verguckten. Mit der Eröffnung der Pusta-Stube an der Wümme brach eine zweite Ära im Leben von Therese und Janos Hergott an. Zuvor waren sie als berühmte Zirkusartisten mit ihrer Trapeznummer und den „Seven Hungarias“ viele Jahre um die Welt gereist, standen mit Frank Sinatra sowie Sigfried und Roy auf der Bühne, begegneten auf ihren Tourneen auch Größen wie Che Guevara. Dann landeten sie im Blockland und wurden sesshaft. Kornelia erzählt, dass die hiesige Landschaft ihre Eltern an die Puszta in ihrem Heimatland Ungarn erinnerte. Sie boten ungarische Küche und Kneipenatmosphäre und hatten damit nach anfänglicher Skepsis großen Erfolg bei Anwohnern und co. Über dreißig Jahre vergingen, in denen auch zahlreiche Persönlichkeiten in der Pusta-Stube abstiegen. „Für Promis wie Vicky Leandros oder Entertainer Peter Frankenfeld galt die Pusta-Stube als Geheimtipp“, erzählt mir Kornelia. Nach ihren Auftritten in der Stadthalle oder anderswo in Bremen, kamen viele von ihnen ins Blockland, um hier als „normale Leute“ noch einen Absacker zu trinken. Auch heute nehmen hier regelmäßig Berühmtheiten am Tresen Platz und genießen es, ganz normal behandelt zu werden
Die Ecke mit den Dokumenten aus der Zirkuszeit der Pusta-Stuben-Gründer Janos und Therese Hergott. Sie waren auch bei der Eröffnung der Bremer Stadthalle dabei.
Gemütlichkeit und viel zu gucken - das gibt es im Innern der Pusta-Stube
Bei "Janos" gibt`s jetzt auch Musik
2004 verstarb Inhaber Janos überraschend und hinterließ eine wahre Kneipen-Institution. Seine Frau, die stets die Küche gemacht hatte, zog sich bald aus dem Geschäft zurück. Seine Tochter Kornelia, die zwischen Zirkuszelten und in Gardroben aufgewachsen war, sich aber inzwischen in Bremen und umzu ihr ganz eigenes Leben als Kosmetikerin und Gerichtsdolmetscherin aufgebaut hatte, übernahm die Kneipenleitung. "Eigentlich nur vorrübergehend", betonte sie. "Aber irgendwie bin ich dann doch daran hängen geblieben." Bald hatte sie die Idee die Kneipenräume auch regelmäßig für Veranstaltungen zu öffnen. Konzert, Lesungen oder Theater werden seitdem jeden Freitagabend veranstaltet. Inzwischen rufen die Künstlerinnen und Künstler von sich aus an. " Wir sind meistens schon im Januar für den Rest des Jahres ausgebucht", erzählt Kornelia. Mit Hilfe ihrer Töchter und ein paar Aushilfskräfte schmeißt sie nun seit rund 13 Jahren Küche, Tresen und im Sommere auch den Biergartenbetrieb.
Gäste werden an allen Ecken und Enden willkommen geheißen.
Am Wümmedeich lädt die Pusta-Stube zum Einkehren ein.
Wilde Zeiten, brisante Stories
Zwischendurch schweifen wir im Gespräch immer mal wieder ab und Kornelia erzählt mir von ihrer Zeit im Bremer Viertel. „Das kann man sich ja heute gar nicht mehr vorstellen, wie wild das damals alles war“, erinnert sie sich lachend. Eine Geschichte nach der nächsten fällt ihr ein und ich bin mir sicher, dass so ein Abend am Tresen der Pusta-Stube garantiert nicht langweilig werden kann. Wer von all den Geschichten noch nicht genug hat, sollte unbedingt nach der Sache mit Rudi Dutschke fragen. Es soll nämlich in den politisch aufgeladenen Zeiten der 1970er Jahre in einer denkwürdigen Nacht ein konspiratives Treffen in der Pusta-Stube statt gefunden haben. Mitglieder der Runde: neben einigen Bremer Politikern, der namhafte Ökonom Rudolf Hickel, der marxistische Theoretiker Ernest Mandel, der eigentlich einem Einreiseverbot unterlag, und niemand geringeres als Rudi Dutschke, der damals als Wortführer der Studentenbewegung auch in Bremen aktiv war
Schilder über Schilder - die Kuh rechts gehört zum ältesten Stammtisch-Treffen, den Wümme-Farmern, die sich heute hier noch zusammensetzen.
Geschichte(n) gucken
Die Pusta-Stube ist ein Ort zum Gucken und Entdecken. Ich begebe mich also im Anschluss an unser Gespräch auf Fotopirsch. Überall sind kleine Sprüche auf Täfelchen und Schildchen zu lesen, unzählige Gegenstände bezeugen die Lebendigkeit der Kneipe. „Ich liebe Kitsch und stehe da auch zu“, erzählt mir Kornelia lachend. Sie würde auch immer wieder beobachten, dass Gäste nur mal eben auf die Toilette gehen und dann lange Zeit nicht wiederkommen, weil es dort eben auch so viel zu gucken gibt. Bei einem Blick in die Fliesenräume muss ich zugeben: So viele Plakate und (Un- )Sinnspruchkarten habe ich bisher auch selten auf so kleinem Raum gesehen
Auch in den Sanitärräumen gibt es genug zu gucken
Kornelia zeigt mir auch noch die Ecke im Kneipenraum, wo Fotos Ihre Eltern und eine ganze Reihe Plakate hängen, die die sensationellen „Seven Hungarias“ mit ihrer Trapeznummer ankündigten. Ein Hauch von Internationalität und Zirkusflair hängt in der Luft. „Ich hab dieses Reisefieber und Fernweh nie gehabt“, erzählt Kornelia. „Aber eine meiner beiden Töchter hat diesen unbändigen Drang, in die weiter Welt hinaus zu reisen, voll im Blut. Die ist quasi ständig unterwegs. Ich hab mich hier im Blockland ganz gut eingelebt.“
Vielleicht ist es für ihre Eltern nach intensiven Jahren des Reisens gerade dieses Gefühl von Ankommen gewesen, das sie im Blockland mit ihrer Pusta-Stube gehalten hat, denke ich beim Verlassen des Ortes. Für mich ist dieser Ort auf jeden Fall zum Ankommen und einen Moment bleiben gemacht. Dafür nehme ich sicherlich noch die eine oder andere „Reise“ hierher in Kauf
Quelle: Wümme-Zeitung v. 6.5.2018
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